März 2007: Benne Seit einiger Zeit habe ich keine Freunde mehr. Wie das kam, weiß ich auch nicht so genau. Eines Tages wurde mir einfach nur klar "Alter, wenn Du jetzt einen saufen oder auch nur völlig unverbindlich einen Kaffee trinken gehen wolltest, wüsstest Du nicht mit wem". Ich unterhalte mich seitdem viel mit meinem Ficus Benjamini. Der Einfachheit halber nenne ich ihn "Benne". "Benne" klingt erstens recht hübsch danach, als sei das mein bester Kumpel aus der Früh-Twen-Clique und zweitens wäre es eine echt billige Pointe, wenn ich das Bäumchen "Ficki" getauft hätte. Benne ist ein super Gesprächspartner, weil er – behauptet er jedenfalls – eine multiple Persönlichkeit hat. Deswegen kann er fast alle denkbaren Themen von ganz verschiedenen Seiten beleuchten, sagt er. Nur wenn es um Kunstdünger geht, wird Benne recht einseitig. Kunstdünger findet er scheiße und hätte lieber jede Woche einmal einen Pott Jauche in den Kübel, was ich wiederum scheiße finde, weil wir im gleichen Zimmer wohnen. Da Benne nicht viel dagegen tun kann, außer mir gelegentlich in Gesprächen etwas zweifelhafte Tipps zu geben, bekommt er alle Woche einen Schluck flüssigen Kunstdünger ins Kannenwasser. Letzten Sonntag hatte ich mal wieder heftigsten Gesprächsbedarf und setzte mich zu Benne ans Fenster.
"Benne”, sagte ich, "warum habe ich eigentlich keine Freunde mehr?"
Ja, so ist er eben manchmal der Benne. Aber genauso oft ist er echt ein total Netter. Letztens haben wir uns zum Beispiel richtig lange und auch total gut darüber unterhalten, warum ich bloß seit zwei Jahren keine Arbeit mehr finde, und das, obwohl ich ein echt umgänglicher Typ bin, meine Muttersprache und das kleine Einmaleins beherrsche und sogar mal ein Studium abgeschlossen habe. Da hat der Benne mir ein paar echt gute Tipps gegeben.
"Benne", sagte ich, "warum finde ich eigentlich keine Arbeit mehr?"
Seitdem hilft Benne mir bei den Anschreiben meiner Bewerbungen. In die Vorstellungsgespräche kann ich ihn ja leider doch schlecht mitbringen, obwohl er meint, dass dann wenigstens gleich klar wäre, dass ich mir völlig sicher bin, sofort ein Büro zu beziehen und eben meine Büropflanze schonmal dabei habe. Allerdings hatte ich wenig Gelegenheit, Benne mit zu Gesprächen zu nehmen, da ich nun seit einer Weile keine Einladungen mehr bekommen habe. Als ich Benne fragte, ob das wohl daran liegen könne, dass ich "Sehr geehrte Damen und Herren" auf sein Anraten durch, "Mahlzeit, Ihr Luschen" ersetzt habe, meinte er, damit müsse ein echter Kerl von Personalchef schon umgehen können, und wenn nicht, dann solle man in dem Weichspülerverein erst gar nicht anfangen. Ein bisschen übertreibt er da vielleicht, aber im Prinzip hat er ja Recht. Man sollte den Leuten eben schon klar machen, dass sie's mit einem ganzen Kerl zu tun haben, sagt er immer. So auch als ich ihn neulich in einer anderen Frage konsultierte.
"Benne, was machen wir denn wegen des ganzen Mülls und der Ratten im Treppenhaus?"
Da hat er dann wohl doch ein bisschen übertrieben der Benne. War sowieso nicht wirklich gut drauf in den letzten paar Wochen. Ich denke mittlerweile auch, dass Benne sein Problem nicht richtig einschätzt. Er hält sich nunmal, wie gesagt, selbst für einen multiplen Ficus. Ich glaube, er ist eher ein Borderline-Benjamini. Und manchmal denke ich inzwischen auch darüber nach, ob ich mich damals, vor zweieinhalb Jahren, richtig entschieden habe, als Benne zu mir schon auf dem Weg zurück aus dem Gartenland, wo ich ihn gekauft hatte, eröffnete: "Und das eines gleich mal klar ist, Alter. Wir zwei können's uns richtig fett machen bei dir. Wir lassen so richtig die Kuh fliegen und den Bär steppen, wie du's dir schon lange mal gewünscht hast. Weiber, Drogen, Party – Exzesse bis der Arzt kommt. Schwarze Frauen, weiße Frauen und zwar im Dutzend und von allen Seiten, Alter. Weißt ja wie's is', oder? Koksen bis die Nase qualmt und einen drauf gemacht, bis die Herzklappen klimpern wie die Wimpern der Allerweltsschlampen aus aller Welt. Wir zwei mitten drin und dran, drauf, drüber, mein Lieber. Nix für Chorknaben und auch nix für Gesangsvereine, nur was für echte Kerle, wie dich und mich. Nur, du Frostbeule, lass mich in Ruh' mit dem Kunstdüngerscheiß, den du da eben mit mir zusammen eingepackt hast! Oder, wenn das Zeug denn unbedingt sein muss, weil du keinen anständigen Misthaufen vor der Hütte hast, schmeiß wenigstens deine Alte raus. Die hält dich doch total vom echten Leben ab und außerdem sieht die ungesund aus wie Kunstdünger und stinkt wie Jauche."
Naja, was soll ich sagen. Das Bild, das Benne mir von unserem zukünftigen Leben in Saus und Braus malte, gefiel mir. Meine damalige Freundin war irgendwie wirklich schon ein bisschen abgenutzt und der 5-Liter-Kunstdünger-Kanister hatte immerhin 12,95 gekostet...
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